Drei Fragen an Miriam Unterthiner

Drei Fragen an Autorin Miriam Unterthiner

Wie kamst Du auf den Gedanken, einen Theatertext über die sogenannten „Rattenlinien“ zu schreiben, also die Fluchtrouten von NS-Funktionären über den Brennerpass weiter nach Südtirol und schließlich nach Südamerika?

Bedeutend war hierfür ein Nebensatz meines Großvaters, der beim ersten Corona-Lockdown fiel. Damals befand ich mich in Österreich, meine Familie war in Italien und zum ersten Mal in meinem Leben war für mich dazwischen eine Grenze spürbar, der Brenner schien beinahe unpassierbar. Mein Großvater meinte, er kenne den Weg über den Grünen Pass, dort würde mich bestimmt niemensch finden. Da er etwa 100 Kilometer von der Brenner-Grenze entfernt aufgewachsen ist, hat mich die Aussage irritiert. So begann ich zu recherchieren, was es mit dieser Grünen Grenze auf sich hat und bin auf die von Südtiroler:innen geleistete „Fluchthilfe” gestoßen. Währenddessen schrieb ich an einer Komödie über Brot. Die beiden Themen begannen sich ineinander zu verzahnen und daraus entstand der Theatertext Blutbrot.

Du beschäftigst Dich in Deinem Stück außerdem mit dem Thema der Kollektivschuld: Viele Südtiroler*innen halfen damals den Nationalsozialist*innen bei der Flucht. Inwieweit können diese vergessenen Geschehnisse als Folie dienen, um etwas über unsere Gegenwart zu erzählen?

Die Thematisierung unserer Vergangenheit, insbesondere jener, in der wir nicht gerade gut wegkommen, ist politisch unbeliebt geworden. Aktuell gibt es viel eher eine Suche nach gut verdaubaren Geschichten, die uns mit ihrem Sog in eine eigene Welt ziehen, in der im besten Fall das wohlvertraute Happy End auf uns wartet. Diese beiden zeitgenössischen Tendenzen hängen für mich unmittelbar zusammen, beides sind nämlich Ausweichmanöver, ein bewusstes Nicht-Hinsehen auf das, was uns nicht wohlbekommt und beides verweist damit darauf, dass wir etwas ganz bewusst nicht wahrnehmen wollen.

Im Theater sehe ich die Kraft, insbesondere in Zeiten wie diesen, sich der Vergangenheit zu stellen und ich glaube, dass das Theater einen Raum schaffen kann, in dem wir gemeinsam über unsere Vergangenheit und unsere Verantwortung gegenüber dieser nachdenken können, zugunsten einer gemeinschaftlicheren Gegenwart.

Was ist für Dich das Besondere am Schreiben für das Theater? Bzw. was ist es, was es für Dich zu dem Medium macht, durch das Du erzählen möchtest?

Ich bin gänzlich ohne Theater(besuche) aufgewachsen, das Theater habe ich mit Mitte zwanzig zufällig für mich entdeckt, daher ist es für mich noch immer etwas Neues, das ich noch nicht gänzlich fassen kann. Einerseits wird es dadurch für mich künstlerisch spannend, andererseits fasziniert es mich als Form, versetzt mich immer wieder in Staunen.

Ein Theatertext geht durch sehr viele Köpfe, bis er auf die Bühne und zum Publikum gelangt: von der Autorin, hin zur Lektorin, der Dramaturgie, der Regie, Kostüm, Bühnenbild, Maske, den Schauspielenden ... Es ist sozusagen der Mannschaftssport des Schreibens, der sich durch ein kontinuierliches gemeinsames Denken auszeichnet – das finde ich großartig.

Die Fragen stellten Hannah Lioba Egenolf und Esther Holland-Merten.