Drei Fragen an Marie-Christin Rissinger

In Eurer neuesten Produktion „WIRECARD: Last Exit Bad Vöslau“ nehmt Ihr Euch des Wirecard-Skandals an, der hohe Wellen schlug. Was hat Euch daran interessiert?

Als ich im Sommer 2022 das Buch “House of Wirecard” von Dan McCrum aufschlug, staunte ich nicht schlecht: Das Buch beginnt mit einer 5-seitigen Figuren-Liste von nahezu ausschließlich männlich gelesenen Protagonisten. Der Stoff selbst ist ein unfassbar verworrener Bilanzskandal, der geprägt ist vom Wegschauen. Die Anleger*innen machten Profite und Deutschland hatte endlich ein Finanz-Technologieunternehmen, das es mit den Big Playern im Silicon Valley aufnehmen konnte. An der Spitze des deutschen DAX-Konzerns standen die beiden Österreicher Jan Marsalek und Markus Braun und alle wollten das Märchen vom großen Geld glauben. Doch nicht nur der Betrug in Milliardenhöhe selbst ist faszinierend, auch die Verstrickungen von Jan Marsalek in politische Angelegenheiten ist unglaublich: Er verfügte über Kontakte zu diversen Geheimdiensten, war sowohl mit rechten Politiker*innen als auch dem International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) vernetzt und baute eine Miliz in Libyen auf. Am Beispiel von Jan Marsalek offenbart sich ein perfides Machtstreben, das das Produkt einer patriarchal-kapitalistisch geprägten Gesellschaft ist.

In der Inszenierung stehen Drag Kings auf der Bühne – wie kam es zu dieser Idee?

In “WIRECARD: Last Exit Bad Vöslau” geht es darum, genau diese Welt der Anzug- und Entscheidungsträger satirisch unter die Lupe zu nehmen. Der Fokus der Inszenierung, deren Konzept ich gemeinsam mit Johann Brigitte Schima entwickelt habe, liegt auf dem Zusammenhang von Hochstapelei und dem Performen von Männlichkeit und welche Kunstform eignet sich besser, eine von Männern gemachte Seifenblase zu persiflieren als Drag? Darüber hinaus braucht es für die Dramatisierung eines Bilanzskandals eine ordentliche Portion Humor und so kam es zu der Idee, Autorin und Kabarettistin Maria Muhar zu fragen den Text zu diesem Stück zu schreiben, denn eine Person, der es gelingt mit einer Geschichte über Steuerberatung tosendes Gelächter zu erzeugen, schafft das auch beim Thema Bilanzfälschung. 

Welche Herausforderungen bringt ein Projekt mit sich, welches auf wahren Geschehnissen beruht bei denen immer wieder tagesaktuelle Veränderungen auftreten?

Theater ist ein notorisch langsames Medium. Von der Konzeptentwicklung über die Antragsstellung, die Umsetzung bis zur Premiere dauert es in etwa zwei Jahre. Für investigative Recherchen gibt es andere Medien, die hier besser geeignet sind. Was Theater jedoch kann - und zwar besser als Journalismus, der es mit der Wahrheit immer ganz genau nehmen muss - ist, sich einzelne Aspekte anzuschauen, in die Tiefe zu gehen, zu fiktionalisieren und die Mechanismen einer gesellschaftspolitisch relevanten Geschichte offen zu legen. In “WIRECARD: Last Exit Bad Vöslau” werfen wir einen imaginären Blick hinter die Kulissen dieses Skandals, hinein in die Klein-Buben-Phantasie in Privatjets. Das Stück endet 2020, in dem Moment, in dem die Blase platzt - in diesem Sinne haben wir nicht den Anspruch tagesaktuell zu sein.

Die Fragen stellte Hannah Lioba Egenolf.