Drei Fragen an Volker Schmidt

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Ich habe Kristina 2015 in Moskau kennengelernt. Sie hat dort in einer Uraufführung  eines Stückes von mir mitgespielt, das ich dort inszeniert habe. Als mich Kristina nach Kriegsbeginn in Wien besuchte, erzählte sie mir von den ersten Kriegstagen, die sie mit ihrer ukrainischen Freundin Nastya gemeinsam in Moskau erlebt hatte. Diese dramatische Geschichte machte mir zum ersten Mal klar, dass es sehr viele Menschen aus der Ukraine und Russland gibt, die ihr Leben und ihren Alltag bisher geteilt hatten und sich seit dem 24. Februar in einer völlig anderen Gesamtsituation befinden. Mich interessierte die Frage, inwieweit diese Anzeichen vorher schon da waren, und wie diese Beziehungen nun weiter bestehen können. So kam mir der Gedanke die Geschichte von Nastya und Kristina zu erzählen. Ich fand besonders, dass sie ihre eigene Geschichte erzählen aber als Schauspielerinnen gleichzeitig die Mittel haben, Situationen und Erlebtes wieder plastisch entstehen zu lassen. Was einen auch zur Frage führt: wo beginnt das Theater, wo endet die Realität. Wie geht man mit vergangenen Wunden und Verletzungen um. 

Was sind die Herausforderungen, die dieses Projekt mit sich bringen?

Die größte Herausforderung besteht darin, dass es keine Rückschau auf einen vergangenen Konflikt ist, der schon auf die eine oder andere Art aufgearbeitet ist, sondern dass wir uns mitten im Krieg befinden. Das macht das Projekt schwierig aber für mich umso wertvoller. Denn in Kriegszeiten herrschen ja vor allem Sprachlosigkeit, Abgrenzung und Schuldzuweisung, die Sprache ist die der Propaganda. Hier eine andere Stimme einzuflechten, die Raum lässt, zumindest Ratlosigkeit und Hilflosigkeit zu zeigen, Ambivalenzen, empathische Gefühle oder auch nur Gefühlsverwirrungen, bedeutet, die Stimme des unvollkommenen Menschlichen wieder zuzulassen. Gedanken zu erlauben, die nicht Urteile sind. Atmosphären und Räume, die dem Partikulären Raum geben, denn nur das wird uns retten können. Das jeweils spezielle Zusammensein von Menschen, abseits der Politik. 

Wie näherst du dich auf der Bühne des Theater am Werk ästhetisch diesem Thema?

Die Ästhetik ist sehr vom Prozess der Stückentwicklung bestimmt. Verschiedene Phasen der Konzeptionierung, die den Umständen geschuldet sind, haben verschiedene Formen der Ästehtik hinterlassen. So sind die Mittel, die eingesetzt werden, eine Sichtbarmachung des Prozesses. Deshalb spielt natürlich Original-Footage wie Zoom-Calls und Instagram-Posts eine große Rolle. Ein zentrale Frage ist auch, inwieweit dokumentarisches Theater die Reproduktion von Situationen erlaubt, inwieweit man das sichtbar machen kann und welche neuen ungeahnten Aspekte von Realität sich durch ihre Wiederholung erst ergeben. Das Bespiegeln von Erlebtem, sei es durch Erinnerung oder Formen technischer Reproduktion ist ein zentraler Aspekt des Stückes. Wir versuchen, die Prozesshaftigkeit von Wirklichkeit zu zeigen: Oder um es frei nach Rilke zu sagen: „No feeling is final."

Die Fragen stellte Hannah Lioba Egenolf.